Seit dem Referendum 2016 ist im UK ein oft nicht sachlich und real geführter Kampf entbrannt, um einen Weg zu finden, im Sinn der Briten mehr Souveränität und Handlungsfreiheiten in Europa wieder zu erlangen bzw. sich den auferlegten Zwängen durch die in der EU vereinbarten, gemeinsamen Auflagen und Zielsetzungen zu entziehen.

Sicher ist das als ein sehr nationaler Anspruch und damit auch als ein Egoismus zu betrachten, da das die Werte anderer Partner zwangsläufig betreffen wird, wenn Pflichten nicht anerkannt und erfüllt werden sollen und andererseits zusätzliche Rechte, die anderen nicht eingeräumt werden, man für sich in Anspruch nehmen will.
Soweit zum Allgemeinen.

Doch, wie so oft, ist die Beurteilung der Situation aus sehr vielen Blickwinkeln notwendig und kann sicher überhaupt nicht neutral erfolgen, ohne daß man sich einer der Positionen in irgendeiner – mehr oder weniger sachlich begründeten Betrachtungsweise – anschließt.

Das kann und sollte hier nicht unsere Zielsetzung sein. Wir möchten dem Leser einige unterschiedliche Fakten und Argumentationsketten aus den unterschiedlichen Lagern hier kurz beschreiben – den britischen PROs und CONTRAs und auch den unterschiedlichen Standpunkten der EU Kommissionen, aber auch einzelner davon betroffener Nationalstaaten in der EU.

Wir möchten bewußt hier keine direkte Wertung zu Gunsten der einen oder anderen Position vornehmen. Daher haben wir keine Rang- oder Reihenfolge gewählt und schließen nicht mit einer Zusammenfassung oder einem Ausblick zu den Folgen ab.

Diese Sammlung unterschiedlicher – belegter oder angenommener Szenarien – soll anregen, auch die Positionen anderer einmal selbst abzuwägen, zu hinterfragen und sich einen geeigneten, eigenen Standpunkt, an den persönlichen eigenen Werten orientiert, zu erarbeiten.

Diese Liste läßt sich sicher um ein Vielfaches erweitern, ohne damit schlußendlich die eine richtige und gute Lösung aufzuzeigen. Die gibt es nicht, da kein Konsens gesucht wird.

Ziele der Briten:

Mehr Souveränität wieder erlangen. Eigenen nationalen Werten mehr Raum und Gewicht sichern. Die eigenen Zielsetzungen der wirtschaftlichen, historischen, ethischen und nationalen Ansprüche in den Vordergrund stellen. Außeneinflüsse, die das begrenzen oder dem entgegenstehen, zu eliminieren.

Das Optimum an Wirtschaftsmacht zu erlangen, Erreichtes mit der EU bewahren, aber den Einfluß auf Entscheidungen und Zielsetzungen in Großbritannien auf Null setzen. Zuwanderung nach EU Gesetzgebung aus EU Ländern zu unterbinden und Zugewanderte aus EU Ländern und/oder sonstige Migranten abzuschieben und auszugrenzen.

Einen Zusammenhalt in einer Nation Großbritannien zu bewahren, obwohl die verschiedenen Staatsgebiete im UK z.T. sehr unterschiedliche Standpunkte, z.T. mehrheitlich in der Bevölkerung verankert, vertreten.

und Weiteres...

Ziele der EU:

Bewahren des Hergebrachten und Herkömmlichen. Bewahren eines bisherigen Netto-Zahlers und Nord-Europäers, um nicht den

Südstaaten die Macht zu stärken, die europäische Wirtschafts-, Subventions- und Verteilungspolitik sowie Verschuldungsgrenzen und EZB-Macht maßgeblich zu ausschließlichem Süd-Nutzen zu verschieben. Die internationale Macht des EU Komplexes weiter zu sichern und zu verstärken und gegebenenfalls eine europaweite gemeinsame Verteidigungsstrategie zu entwickeln.

Soweit zu den angeführten bzw. vorgewiesenen sachlichen Standpunkten, die offensichtlich nicht in eine Kongruenz überführt werden können, da substantiell völlig divergent.

Nun ein Blick auf die Standpunkte der 27 weiteren EU Staaten, die natürlich alle mehr oder weniger weit auf eigene Nationalstaatlichkeit und eigenste Ziele verzichten oder sich einschränken müssen. Dies im Interesse des Ganzen, der EU und deren positive Entwicklung im Sinne einer gemeinsam stärkeren Machtfülle, sich gemeinsam gegen die Übermacht z.B. aus USA und China erfolgreich zur Wehr zu setzen. Das ist gut gedacht, aber oft schlecht gemacht.

Der schwerfällige und bürokratische Beamtenapparat der EU Kommissionen arbeitet und wirkt – von Kommission zu Kommission, lobbyistisch geprägt, oft gegeneinander. Ziellos, da strategielos operierende Gremien, die Verordnungen erfinden und nutzlos das Ganze EU Konvolut verkomplizieren . Auch Gesetzesvorlagen und Bedrohungen der Mitgliedsländer lassen von Außen betrachtet schlimmste Befürchtungen aufkommen und etwas noch Schlimmeres als einen Föderalismus aus dem 19ten Jahrhundert in Betracht ziehen. der sich als Abschreckung gegen eine konstruktive Gemeinsamkeit und Demokratie vorgeführt hat – und z.T. immer noch vorführt.

Sorge haben die EU Kommissionäre und Verwalter aber auch, daß einige weitere EU Staaten sich dem Vorbild UK's anschließen könnten, um zu eigenem Nutzen der EU Zugeständnisse gegen Bleibenszusage abzuringen.

Viele eint die Abneigung gegen Zuwanderung Dritter, nicht aus bedrohten

Flüchtlingsländern sondern meist Wirtschaftsflüchtlingen aus Afghanistan, Westafrika und Nordafrika, selten aus dem kriegsbedrohten Syrien, wie es Frau Merkel wissentlich falsch den Europäischen Partnern vorgetragen hat. (Lager Moria auf Lesbos aktuell: 77 % Afghanen, 7 % Kongolesen und 8 % Syrer) Dieses Thema ist heute weiterhin völlig aktuell, wird eventuell noch wesentlich verstärkt die Zukunft bestimmen.

Die Zuwanderung aus den osteuropäischen, verarmten Billiglohnländern erfüllt nutzende Unternehmen mit viel Freude und Ertrag, fördert jede Form von Vertrags- und Anstellungskriminalität und untergräbt die Rechte der nationalen Personalkapazitäten und erlangter Rechts- und Strafformen zum Schutz der werktätigen Bevölkerung und Arbeiter, Angestellten und unterschiedlichsten Dienstleistungs- und freien Berufen.

Wie so oft war das ungerechtfertigt und in vielem konzeptlose Deutschland mit Frau Merkel an der Spitze Vorreiter und Erzwinger bei den EU Partnern bei der Durchsetzung der freien Zuwanderung aus osteuropäischen Staaten.

Die vielen Kinder (per Testat des Dorfpastors), lebend in einem Dorf in Bulgarien oder Rumänien etc. erhalten das selbe Kindergeld wie hier ein deutsches oder auch rumänisches Kind hier, wenn ein Elternteil hier in Deutschland angemeldet arbeitet. Einmal solch ein Kindergeld für ein Kind erreicht oft die Höhe des Monatseinkommens eines in Südosteuropa arbeitenden Familienvaters.

Das trifft so alle EU Staaten in Nord-, Mittel- und auch Südeuropa, die die EU-seits und richterlich erzwungenen Regelungen für die in Osteuropa daheim gebliebenen Familienangehörigen von in wirtschaftlich stärkeren EU Nationen arbeitenden Familienmitgliedern nach Hause bezahlt bekommen, das, aus dem Angesparten der jeweiligen nationalen Beitrags- und Steuerzahler, die das ungefragt leisten müssen.

Nun zu einigen Aspekten, dafür oder dagegen, sich weiter mit der EU zu verbinden oder eigene Wege zu versuchen, die aber auch gegen die Ziele

der Gemeinschaft verstoßen können und voraussetzen werden, daß man neue, vertragstreue Partner finden und binden kann und wird.

Nun ein paar einfache Fakten, ungeordnet:

Es befinden sich derzeit laut offizieller Statistiken ca. 900.000 Polen in UK, insgesamt ca. 3,7 Mio EU Ausländer wohnhaft im UK ohne UK Staatsbürgerschaft.

UK hat das erste Freihandels-Staatsabkommen mit Japan außerhalb der EU geschlossen. Ab dem 01.01.2021 werden 99 % der Warenexporte aus UK zollfrei nach Japan importiert werden können. Es wird dann ein jährliches Exportvolumen von gut 50 Mrd. Euro aus UK nach Japan erwartet, heute ca. 35 Mrd. Euro im EU Handelsvertrag.

Japan erwägt, die wesentlichen Europa Zentralen für die Automobilindustrie, die Elektronikindustrie sowie für Fintech Produkte etc. in UK anzusiedeln.

Die Exporte aus UK in die EU betrugen 2019 (gemäß Statista) 193,7 Mrd. Euro, die deutschen Exporte nach UK im selben Zeitraum 78,88 Mrd. Euro.

Gemäß Brexit Abkommen, unterschrieben zwischen UK und der EU im Oktober 2019, soll die Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland „weich“ gehandhabt werden, um das Aufflammen der alten Kämpfe und Anschläge nicht wieder aufflammen zu lassen.An dieser Grenze bliebe der Binnenmarkt bis zu neuen Lösungen erhalten.

Die Briten haben diesen Vertrag völkerrechtswidrig jetzt im September aufgekündigt. Dem hat UK ein s.g. „Binnenmarktgesetz“ entgegengestellt, das dem Austrittsvertrag mit der EU widerspricht.

Zusätzlich beabsichtigen die Briten in London, Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht weiter anzuerkennen.

Bei gemeinsamen Anstrengungen heißt es oft : Der Weg ist das Ziel!

Die Briten verfolgen jetzt konsequent einen anderen Weg mit dem Ziel:

Die Zukunft in den neuen Verhältnissen und mit neuen erarbeiteten Chancen sind die Ziele!

Die Briten wollen ihre Zukunft im weltweiten internationalen Umfeld und im Welthandel selbst neu gestalten, ohne, daß sie die Vorgaben und Verteilungen und Umlagerung von Menschenmassen der mit Lobbyisten durchsetzten beamteten EU Kommissionen mit bezahlen und tragen müssen.

Wenn die Briten sich für den harten Brexit entscheiden, also die über Jahrzehnte gewachsenen Bindungen an die 27 in der EU verbleibenden Staaten nicht mehr in geregelten, gemeinsam abgestimmten Verträgen achten und umsetzen wollen, wird wohl auf jeder Ebene das Gesetz des Stärkeren Macht gewinnen.

Die EU kann in Grenz- und Zollfragen und bei gegenseitiger Anerkennung von Normungen und Vorgaben sich stur und bürokratisch geben und Fortschritte vorsätzlich über Jahre verzögern.

Aber die schärferen Waffen haben meines Erachtens nach die Briten in London in ihren Händen. Der Finanzplatz London kann zukünftig mit andersartigen internationalen Finanzinstrumenten und -produkten punkten, asiatische, arabische und Investoren aus Drittländern mit Verschwiegenheit und Identitätssicherheit anlocken und binden, sowie einen Handelsplatz und Finanzplatz für den weltweiten Handel und Devisen aufbauen, den Frankfurt wohl so nicht bieten kann.

Mit niedrigen Unternehmenssteuersätzen, höherer Flexibilität und unternehmensfreundlichem Umfeld (Freihandelszonen etc.) sowie attraktiven Einkommensteuergestaltungen für Top IT und High Tech Personal und Top Fachkräfte sowie Top Forscher kann ein UK die Kräfte und das Zukunftspotential binden, das sich im bürokratisch geprägten und organisierten EU Europa, insbesondere dem innovativ stark hinkenden Deutschland, nicht mehr begeistern läßt.

Also zu allem Für und Wider!

Deutschland sollte sich in der verbleibenden EU der 27 etwas zurücknehmen um durch unnötiges Großmachtgehabe nicht weitere zu vergraulen.

Der Brexit sollte jetzt von allen als Faktum angenommen werden. Ein Schmollen der Gestrigen hilft niemandem. So knapp die Brexit Abstimmung im Jahr 2016 war, so sehr hat sich meines Erachtens das Bild gewandelt. Boris Johnson mit seiner „schnoddrigen“ Art hat wohl die stolze Seele und den Aufbruchswillen der Briten erreicht und in weiten Kreisen für sich eingenommen.

Man sollte jetzt beiden Seiten den gemeinsamen erfolgreichen Aufbruch in eine gemeinsame und parallele Zukunft ermöglichen und miteinander vielleicht wieder etwas Gutes aufbauen und umsetzen.

Im September 2020

Dr. Ing. Olaf Winkelmann