Gestern ist in Italien der Bürgermeister des Kalabrischen Dorfes Riace festgenommen und unter Hausarrest gestellt worden. Der Vorwurf gegen Lucano, der für seine Integrationspolitik im vergangenen Jahr mit dem Dresdner Friedenspreis ausgezeichnet wurde, lautet Begünstigung illegaler Migration. Die Festnahme des Bürgermeisters, der mit seinem „Dorf des Willkommens“ bereits internationale Anerkennung erfuhr, sorgt für Aufruhe in Italien. Während sich Lega-Chef Salvini auf seinem Facebook Profil höhnisch äußert, kritisieren Menschenrechtsaktivisten und linke Politiker das Vorgehen scharf.
Riace: Stadt der Zukunft
Domenico Lucano ist seit 2004 Bürgermeister des 1800 Einwohner zählenden Dorfes Riace an der Küste Kalabriens. Der kleine Ort ist, wie viele andere in strukturschwachen Gebieten Süditaliens, von hoher Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffen. Die Einwohnerzahl Riaces sank bis 1998 von 3000 auf 800, das Dorf war zum Großteil verlassen. Als dann 1998 ein Boot mit 2018 kurdischen Flüchtlingen in Riace landete, gründeten der Dorflehrer Domenico Lucano gemeinsam mit andere Einwohnern Riaces den Verein „Città Futura“ , die „Stadt der Zukunft. Seither hat es sich der Verein zur Aufgabe gemacht, die angekommenen Migranten in Riace anzusiedeln, hierfür standen ausreichend unbewohnte Gebäude zur Verfügung, ihnen Arbeit und Perspektive zu geben, und durch die Integration der Flüchtlinge den Ort wiederzubeleben.
Revitalisierung
Das Projekt läuft seither erfolgreich, 2012 lebten 500 Immigranten in Riace, 2016 bereits 800. Nicht alle bleiben, wie Lucano in einem Interview erklärte, doch viele bleiben und bearbeiten die verlassenen Olivenhaine und Weinberge oder haben eine Arbeit in einem der zur Belebung des örtlichen Handwerkes ins Leben gerufenen Projektes gefunden.
Für seine Willkommenskultur und positive Integrationspolitik wird Lucano zum Vorbild und von internationalen Medien wahrgenommen und gefeiert. „Riace, Dorf des Willkommens“ ist am Ortseingang zu lesen- und tatsächlich lebten in Riace phasenweise Menschen aus 40 Nationen im Multikulti Idyll friedlich miteinander, der Ort erlebt einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Schule konnte durch die neu angekommen Flüchtlingskinder erhalten werden, es wurden Geschäfte eröffnet und neue Arbeitsplätze geschaffen, so arbeiten für den Verein Città Futura inzwischen 70 Angestellte. Doch natürlich trägt sich das Projekt nicht ohne stattliche Finanzierung. Die 35 Euro pro Tag pro Person, die Innenminister Salvini auf 25 Euro kürzen möchte, die aus Rom kommen, ermöglichen eine monatliche Auszahlung der Grundsicherung von 250 Euro an die Flüchtlinge, die Unterkünfte in Riace sind gratis und wurden in den vergangenen Jahren nach Bedarf renoviert.
Lucano belegte 2010 in der „World Mayor Competition“ den zweiten Platz hinter Marcelo Ebrard, zu diesem Zeitpunkt Stadtoberhaupt von Mexico City und geschätzen 9. Millionen Einwohnern. Bis gestern sah es so aus, als könne Lucano die Utopie, auf deren Erfüllung die letzten Jahre der Entwicklung Riaces Hoffnung gemacht hatten, weiter vorantreiben. Seit gestern steht der Kommunalpolitiker unter Hausarrest und sieht sich mit mehrfachen Vorwürfen konfrontiert.
Gleich mehrere Vorwürfe, auch Gutmensch
Neben dem Vorwurf der Begünstigung illegaler Migration wird gegen Lucano zudem wegen Unregelmäßigkeiten im Umgang mit öffentlichen Geldern ermittelt. An einer Stelle heißt es, hier ginge es um die Vergabe von Aufträgen, andere beziehen diese Unregelmäßigkeiten auf die vom Staat ausbezahlten Gelder zur Unterstützung der Immigranten. Die Staatsanwaltschaft von Reggio ermittele bereits seit einem Jahr, heißt es in italienischen Medienberichten. Zusätzlich hierzu wird Lucano und seiner Lebensgefährtin gemeinsam die Anbahnung von Scheinehen zwischen italienischen Staatsangehörigen und Migranten vorgeworfen.
Im Laufe des gestrigen Tages bekundeten unzählige Menschenrechtsaktivisten und führende linke Politiker ihre Solidarität mit Lucano und verurteilten seine Festnahme. "Die Regierung geht mit dieser juristischen Ermittlung (...) den ersten Schritt der Verwandlung von einer Demokratie in einen autokratischen Staat", mahnt Anti-Mafia-Autor Roberto Saviano. Nicht ganz so weit geht Nicola Fratoianni, Chef der Linkspartei "Sinistra Italiana", doch warnt auch er, dass die Regierung Integration von und Solidarität mit Migranten kriminalisieren wolle. Italiens Innenminister, Lega-Chef Matteo Salvini reagiert nicht direkt auf diese Vorwürfe. Er höhnte nach der Festnahme des Bürgermeisters auf Facebook und beweist, zu wissen, wer seine Kritiker sind: "Wer weiß, was jetzt Saviano und alle anderen Gutmenschen sagen, die Italien wieder mit Migranten füllen wollen."