Ghizzano, Toskana. Knapp 300 Einwohner leben in Ghizzano, einem Dorf in der Toskana, Ortsteil der Gemeinde Peccioli, in der, und den dazugehörenden Dörfern weniger als 5000 Menschen leben. In dem kleinen Ort, etwa 45 km von Pisa entfernt, idyllisch in den sanften Hügeln der Toskana gelegen, treffen Spaziergänger seit Neustem im öffentlichen Raum auf Kunstwerke der zeitgenössischen Künstler Alicja Kwade, David Tremlett und Patrick Tuttofuoco, die in Ghizzano ortsspezifische Interventionen realisiert haben. Die Einladung kommt von der Gemeinde Peccioli, deren Bürgermeister Renzo Macelloni seit den 1990ger Jahren darum bemüht ist, zeitgenössische Kunst zu fördern und die Gegend für gezielte Interventionen von Künstlern und Kuratoren zu öffnen. Das Kuratorenteam um Antonella Soldaini hat drei internationale Künstler ausgewählt, die für ihre Arbeiten im öffentlichen Raum bekannt sind und sie dazu eingeladen vor Ort, gemeinsam mit den Bewohnern, in der Landschaft eine Interventionen zu entwickeln. Eineinhalb Jahre hat der Prozess gedauert, nun sind Kwades „Solid Sky“, Tremletts „Via di Mezzo“ und Tottofuocos Arbeit „Elevatio Corpus“ Teil des kleinen Ortes. Ein Abstecher lohnt sich.
Kunst im öffentlichen Raum für den öffentlichen Raum
"Die Gemeinde Peccioli ist kein Neuling in der Förderung künstlerischer Interventionen, da sie seit 1991 anders durchgeführt wurden", erklärt Bürgermeister Macelloni wie es zu dem Projekt gekommen ist und beschreibt die Beziehung zur zeitgenössischen Kunst als wichtige Bereicherung für das Territorium.
„In diesem Fall haben wir beschlossen, uns auf einen Bruchteil von 350 Einwohnern zu konzentrieren und die gesamte Bevölkerung in ein Projekt von drei internationalen Künstlern wie Alicja Kwade, David Tremlett und Patrick Tuttofuoco zu involvieren“, berichtet der Bürgermeister weiter. Eineinhalb Jahre wurden öffentliche Versammlungen und zahlreiche Treffen abgehalten, um aus der Gemeinschaft heraus einen Konsens zu entwickeln, damit die Kunst auch gewollt und geschätzt wird.
Bei der Auswahl der Künstler wurde auf Verschiedenheit des Zugangs geachtet, eine besondere Sensibilität und Aufmerksamkeit für das Thema der öffentlichen Arbeit verbindet jedoch die drei Künstler, die mehrmals nach Ghizzano reisten, mehrere Inspektionen durchführten und an mehreren Treffen mit dem Bürgermeister Macelloni, dem Kuratorenteam (Antonella Soldaini, Kuratorin und Marcella Ferrari, Projektmanagerin), den Einwohnern von Ghizzano, der Stadträtin Anna Dainelli, Architekten und Ingenieuren und lokalen Arbeitern teilnahmen.
Das Projekt ist geradezu vorbildlich für die Einbindung der lokalen Bevölkerung in eine Intervention mit zeitgenössischen Künstlern, die entstandenen Arbeiten verbleiben nun „für immer“ in Ghizzano, dessen Einwohner und Besucher sich gleichermaßen freuen dürfen. So unterschiedlich die drei Interventionen sind, Kwades Steinskulpturen fügen sich genauso gut in das Bild, wie David Tremlett Fassaden und brechen genauso mit Sehgewohnheiten wie Tottofuocos von einem Renaissancefreko abgeleiteten Skulpturen, überdimensionalen Marmor-Eisen-Neon-Armen.
„Solid Sky“
Alicja Kwade (geboren 1979 in Katowiz, Polen, lebt und arbeitet in Berlin) hat erst kürzlich mit ihrer Arbeit ParaPivot, einer große Skulptur auf dem Dach des Metropolitan Museum of Art in New York, auf sich aufmerksam gemacht und ist nach einer Reihe von Ausstellungen auch in Italien keine Unbekannte. Als Kwade in Ghizzano ankam, hatte sie das Gefühl, dass sie dem Territorium einschneidende Spuren hinterlassen und dabei gleichzeitig die Menschen respektieren wollte, die dort leben. Ihre Arbeit Solid Sky setzt sich aus zwei Elementen zusammen: einem großen, innen ausgehöhlten kubischen Block und einer Kugel mit perfekt glatter Oberfläche. Kwade wählt hier eine ganz spezielle Art Stein, einen Azul Macaubas, aus Südamerika, der sich durch eine hellblaue Äderung auszeichnet, die an einigen Stellen einen dunkleren Farbton annimmt. Die große Kugel wirkt, wie ein vom Himmel gefallener Planet und liegt in einem Abstand zum Steinblock, der die Spuren von Materialfehlern zeigt, die der Künstler bewusst sichtbar hinterlassen hat. Die große Lücke in der Mitte ermöglicht es uns, den Ursprung der Kugel zu spüren, deren Perfektion in Form und Ausführung dem unvollendeten Erscheinungsbild des Blocks optisch gegenübersteht. Der Abstand zwischen den beiden zusammengehörenden Teile betont ihre Trennung, oder wie die Künstlerin selber formuliert: „Skulptur agiert im Raum, schafft mehr Dimensionen und erweitert die Grenzen der beobachtbaren Realität.“ Die Skulptur ist in jedem Fall geeignet unsere beobachtbare Realität zu überdauern, denn das Steinmaterial mit seinen sich über mehrere Millionen Jahre gebildeten Schichten, so erklärt Kwade, fungiert auch als eine Art Zeitskala, heute und in der Zukunft.
„Via di Mezzo“
David Tremlett (1945 in Dartford, UK, lebt und arbeitet in London) wählt in Ghizzano, wie in der Vergangenheit für andere Arbeiten im Freien, etwa der wichtigen Interventionen in London an der Tate Britain (2011) und am Bloomberg London Building (2017), die Wandzeichnungen aus Acrylfarben, die für eine lange Lebensdauer bestimmt sind. Bei einem Spaziergang weckte die Via di Mezzo wegen ihres anonymen Charakters, der sie von der Schönheit der Landschaft, von der sie umgeben ist, unterscheidet, die Aufmerksamkeit des Briten.
Vor dem monochromen Hintergrund jeder einzelnen Fassade wurde jeder Fensterrahmen durch kurze vertikale und horizontale Linien hervorgehoben, die visuelle Kontrapunkte schaffen, die die kompositorische Struktur unterstützen. Die Wahl der Farben Braun und Grün wird durch die Beobachtung der sanften Hügel bestimmt, die das Dorf umgeben. Eine Strategie, die den Übergang von der natürlichen zur weniger klaren städtischen Dimension schafft und Ghizzano stärker an die Umgebung bindet. "Für mich war es wichtig, dass wir die Straße von Anfang bis Ende als eine Einheit, als eine einzige Straße wahrnehmen, um die Situation aus der Sicht eines Künstlers zu analysieren. Die Verwendung einer einzigen Farbe auf jeder Straßenseite hätte das Gefühl einer Sequenz garantiert, von hell bis dunkel und umgekehrt. Ich habe mich entschlossen, auf einer Straßenseite (für die Oberflächen der meisten Häuser) Grün zu verwenden, obwohl es nicht die typische Farbe ist, mit der die Wände der Häuser gestrichen werden, weil mir die Idee gefiel, einige der Häuser mitzubringen umgebende Landschaft innerhalb der Straße. Auf der anderen Seite, wo es aufgrund der großen Ziegelmauertränke weniger Häuser gibt, auf denen eingegriffen werden kann, habe ich mich für Braun als vorherrschende Farbe entschieden. Der Wechsel von Hell zu Dunkel im Farbton kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden, dient aber vor allem dazu, dieses Gefühl des "Durchgangs" zu verstärken und die Schönheit des Mittleren Weges besser wahrzunehmen," erklärt David Tremlett. Mit minimalen Eingriffen schafft der Künstler eine ganz neue Verbindung zwischen Gebäuden und Landschaft.
„Elevatio Corpus“
Patrick Tottofuocos Arbeit in Ghizzano „Elevatio corpus“ basiert auf einem Freskenzyklus des Renaissancekünstlers Benozzo Gozzoli, der 1479 gezwungen wurde, wegen der Pest Pisa zu verlassen und mit seiner Familie nach Legoli, unweit von Ghizzano und auch ein Ortsteil Pecciolis zu ziehen. Aus einigen Details der Benozzos in Bonozzos Arbeit dargestellten Figuren- San Sebastiano, San Michele und San Giovanni - schöpft Tuttofuoco Inspiration für seine aus Materialien wie Marmor, Neon und Eisen hergestellten Skulturen. Tuttofuoca (geboren 1974 in Mailand, wo er auch lebt und arbeitet) hat 2017 mit seinem Team eine große Installation auf einer Fläche von 3.000 Quadratmetern der OGR (Officine Grandi Riparazioni) in Turin realisiert und dieses nach Ghizzano mitgebracht, um die Neuinterpretation der Bildarbeit eines großen Renaissancekünstlers zu realisieren und eine skulpturale Realität zu schaffen, die sich modern interpretiert auf die künstlerische Vergangenheit des Territoriums bezieht. Die drei Skulpturen deren naturalistischer Part, ein steinerner Arm oder Hände in eine Eisen-Neon Skulptur integriert ist, stehen im Ort verteilt. Neben das klassische Element in Stein tritt die Dekonstruktion und Neuinterpretation der Vorlage, ein neues Kunstwerk. „Es ist das Kunstwerk, das sich über alles hinaus zu projizieren und alles zu verstehen vermag, was den Menschen von der Abhängigkeit von Materie, Raum und Zeit befreit. Die Hände stellen die Bindung des Menschen an das materielle Universum dar und bestimmen einen genauen Moment in Raum und Zeit, der es uns ermöglicht, materialisierende Gedanken zu handeln, die weit über diesen einen Moment hinausleben. "Meint der Künstler und stellt damit seine Intervention, ähnlich wie Kwade, in einen Zeit-Raum-Kontext.