Die Orecchiette sind eines der bekanntesten Gerichte der apulischen Küche. Die für die apulische Küche typische Pasta-Art aus Hartweizen, Wasser und Salz, zubereitet aus Teigscheiben, die dann in der Mitte zerkleinert werden und die charakteristische Form annehmen, von der ihr Name stammt. Orecchiette heißt übersetzt Ohrmuscheln, denn ähnlich unserer Ohren ist die Orecchietta am Rand leicht umgestülpt. Die Nudel ist ungefähr 3/4 eines Daumens groß und sie sehen aus wie eine kleine Kuppel, wobei die Mitte dünner als die Kante und die Oberfläche rau ist. Streng von Hand gearbeitet, sind sie präzise rund und konkav, eine Form, die sie beim Aufsaugen der Sauce unübertroffen macht. Auch heute noch, wenn die Zubereitung der Orecchiette per Hand erfolgt, ist ihre Innenseite glatt, während die Außenseite durch das Ziehen am Teigbrett zerknittert wird.
Die Form der Orecchiette ist eine der komplexesten für frische Nudeln, da sie nicht ausschließlich von Hand geformt werden, sondern unter zu Hilfename eines Werkzeuges, “il coltello”, dem Messer, hergestellt werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um irgendein Messer, sondern um "das Messer", das der Tradition nach von der Mutter an die Tochter weitergegeben und ausschließlich für diese Tätigkeit verwendet wird. Dieses besondere Orecchiette- Messer ist leicht, aus Eisen, hat eine flache Klinge mit einer unrunden, aber leicht ovalen Spitze. In den apulischen Familien, in denen diese Nudeln zubereitet werden, ist das Messer eine ernste Angelegenheit, und ältere Menschen erinnern sich noch an den Namen: la Sferra.
Die verschiedenen Arten der Orecchiette
Sowohl der Name, als auch die Form der Orecchiette, unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Die „Chianchiarelle" in der Provinz Tarent sind größer, weniger ausgehöhlt, dicker und schwielig, in Richtung Brindisi und Foggia heißt die Pastasorte „Cicatelli", diese sind länger in der Form und in sich selbst gewickelt, im Landesinneren kennt man sie unter „Stacchiodde" und in Bari als „Strascinati"; ein Begriff, der von der Entstehungsmethode stammt, bei der die Nudeln ihre Form annehmen, wenn sie auf dem Arbeitstisch gezogen werden (strascinata heißt auf deutsch ziehen). Im Salento schließlich sind die „Orecchiette" größer und nehmen eine andere Form an, mit tiefen inneren Falten, die einer Ohrmuschel sehr ähnlich sind und deswegen auch "recch' d'privt" - ovvero "orecchie del prete"- Priesterohren genannt werden.
Die Ursprünge der Orecchiette
Historiker datieren die Geburt der Orecchiette auf das Mittelalter zurück, eine Zeit schwerer Hungersnöte, in der die Zubereitung eine bessere Konservierung ermöglichte. Warum sich die Pasta ausgezeichnet eignete, um auch auf langen Schiffsreisen mitgenommen zu werden.
Es wird angenommen, dass sie eine Adaption der jüdischen kulinarischen Tradition waren, in der Tat könnte eine ursprüngliche Verbindung zum so genannte “orecchie di Haman”, einem Gericht bekannt von einer lokalen israelischen Gemeinde, das damals von den normannisch-schwäbischen Regenten geschützt wurde, bestehen.
Eine andere Theorie besagt, dass die Orecchiette im mittelalterlichen Frankreich entstanden sind. Tatsächlich wurde im Süden der Provence eine sehr dicke Nudelsorte in Form einer mit dem Daumen ausgehöhlten Scheibe hergestellt. Lange Zeit getrocknet, um sie zu konservieren, konnten die Nudeln dank der damals herrschenden Angeviner bis nach Apulien und in die Basilikata gelangen.
Noch länger zurück in der Geschichte, um das Jahr 500 datiert, stammt ein Dokument, das in den Archiven der Kirche San Nicola di Bari gefunden wurde, mit dem ein Vater seiner Tochter eine Bäckerei übergab und betonte, dass er ihr damit auch die Fähigkeit der Zubereitung von „Orecchiette alle cime di rapa“, dem apulischen Nationalgerichte überhaupt, hinterlässt.
Das Rezept
Unter den vielen köstlichen Gerichten mit Orecchiette, die in der kulinarischen Tradition überliefert sind, gilt “alle cime di rapa” als Star. Namengeber und Hauptbestandteil des Gerichts, der Cime di Rapa, zu deutsch Stägelkohl, ist ein bei uns wenig bekanntes Brokkoli artiges Gemüse, das ein leicht bitteres Aroma aufweist. Stängel, Blätter und Blüten werden gegessen. Stängelkohl ist ein Wintergemüse, dass inzwischen auch in Deutschland erhältlich ist. Heute werden bei der Zubereitung des Gerichts, um es noch schmackhafter zu machen, gerne Sardellen verwendet, obwohl diese im Originalrezept nicht vorkamen.
Bei den ebenfalls beliebten Oriecchiette “al sugo”; wird die Pasta mit Ziegenkäse oder hartem Ricotta und unter Zusatz von Kaninchenfleisch, Koteletts oder Fleischklößchen zubereitet.
Das klassische Rezept für Orecchiette:
200 g warmes Wasser
400 g gemahlener Hartweizengrieß
Salz nach Geschmack
“ Orecchiette alla Cime di Rapa”:
Zutaten für 4 Personen:
320 Gramm Orecchiette
600 Gramm italienischer Stängelkohl
4 Sardellenfilets in Öl
4 Esslöffel natives Olivenöl extra
2 Knoblauchzehen
Salz.
Entfernen Sie welke Blätter und holzige Stiele des Stängelkohles, besonders gut schmecken die zartesten Teile, die jüngsten Blüten und Blätter. Waschen Sie diese gut unter fließendem Wasser und blanchieren Sie anschließend 3-5 Minuten in einem Topf mit reichlich kochendem Salzwasser. Nehmen sie das Gemüse aus dem Topf und kochen darin die Orecchiette. Während Sie die Orecchiette, noch al-dente, abtropfen lassen, wird das Gemüse mit dem Öl und einer geschälten und zerkleinerten Knoblauchzehe in eine große Pfanne gegeben (am Ende des Garvorgangs entfernen) und einige Minuten lang gebräunt. Die zerdrückten Sardellenfilets mit Hilfe einer Gabel in die Pfanne geben und dann die Orecchiette und je nach Bedarf etwas Kochwasser hineingießen und kurz dämpfen. Alle Zutaten gut vermischen und noch heiß servieren. Je nach Geschmack mit Parmesan, Chili und Pfeffer abschmecken.
Die Legende
Ein alter Brauch verleiht den Orecchiette eine vorhersagende Kraft. Offenbar benutzten werdende Mütter sie, um das Geschlecht des ungeborenen Kindes vorherzusagen. Sie legten eine Orecchietta und einen Zito (lange und schmale Nudeln) in einen Topf mit Wasser und brachten sie zum Kochen. Die ersten Nudeln, die während des Kochens an die Oberfläche kamen, gaben den Hinweis auf das Geschlecht des ungeborenen Kindes: Orecchietta für Mädchen, Zito für Jungen.